Die ewige Märtyrerin spielt ebenfalls gekonnt mit ihrer Opferrolle – jedoch liegt die Hilflosigkeit nicht bei ihr, sondern bei ihrem Gegenüber.
Um sich selbst in ihrer Rolle der Märtyrerin spielen zu können, braucht sie ein direktes Gegenüber, das sie beeinflussen und manipulieren kann.
Die ewige Märtyrerin ist oft die Mutter, die immer leidet, die sich aufopfert für die Familie, die alles für die Kinder tut, die nur noch funktioniert, damit die Familie existieren kann, für die kein Cent mehr übrig bleibt – Schluss um: Ohne die es nicht geht.
Diese Narzisstin leidet im Gegensatz zur Drama Queen still. Ihre Aufopferung, ihre alltäglichen Leistungen, die immer nur das Wohlergehen aller im Sinn haben – das ist nichts, das nach außen hin propagiert wird. Das Leid und die Last wird man ihr irgendwann ansehen, denn im Vergleich zu anderen Narzissten betreibt sie keine Selbstfürsorge, denn das wiederrum würde nicht zu ihrer Rolle passen. Aufwendige Maniküren, teure Friseurbesuche, exklusive Pflege – das würde nicht zur Darstellung einer still leidenden Frau passen. Da sie besagtes Leid nicht offensichtlich kommunizieren kann, muss sie leidend aussehen, damit ihr Umfeld ihre Rolle trotzdem wahrnehmen kann.
Die ewige Märtyrerin braucht ebenfalls Statisten und das passende Setting in ihrem Leben, um ihre Rolle perfekt zu spielen. Die Wohnung ist stets sauber und ordentlich, um auch hier das Bild, welches die Narzisstin nach außen zeigen will, kontrollieren zu können. Jedoch wird sie sich nicht den Luxus gönnen Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Wohnung darf nicht perfekt sein und nicht zu bequem, sodass die Narzisstin auch hier Raum hat um ihr Leid weiter ausleben zu können.
Ihre Statisten sind im Gegensatz zur Drama Queen oft nur der engste Kreis der Familie, der direkt beeinflusst wird. Die ewige Märtyrerin hat nämlich ein Problem mit ihrer Rolle, was sie einem breiteren Publikum auf Dauer nicht vorspielen kann: Sie muss immer leiden.
Es gibt auch hier keine Lösungen für Probleme. Doch im Gegensatz zur Drama Queen, die in ihrer Rolle wechselt, bleibt die ewige Märtyrerin in ebendieser. Doch dazu darf sich nun mal nicht viel verändern in ihrem Leben. Veränderung bedeutet die Chance auf eine Verbesserung – und das wäre kontraproduktiv für diesen Narzissten. Sie leidet gerne, aber um zu leiden, braucht sie Probleme und Lebensumstände, die sie dieses Leid offensichtlich darstellen lassen. Freunden oder weiteren Familienmitgliedern würden über einen längeren Zeitraum auffallen, dass die Lebensumstände zwar wirklich bedauerlich sein mögen – jedoch auch absolut nichts getan wird, um diese zu ändern. Ganz im Gegenteil: Die ewige Märtyrerin hält das Leid in ihrem Leben. Es gibt keinen Weg aus der Misere. Wozu auch? Die Misere ist gewollt.
In Bezug auf die eigene Familie bedeutet dies ein hohes Maß an subtiler Manipulation, um die emotionale Wahrnehmung der Familienmitglieder zu steuern. Der Grad ist schmal zwischen der ewigen Opfermentalität, was eine passive Energie erfordert und der aktiven Darstellung einer Märtyrerin, die sich abkämpft für das Wohl anderer. Um diese Rolle dauerhaft spielen zu können, braucht die Narzisstin einen Gegenspieler, meistens der Partner der Narzisstin. Dieser muss stets in der Rolle des dysfunktionalen, unzuverlässigen und unstabilen Elternteils sein, damit die Narzisstin ihre Rolle wiederum glaubhaft darstellen kann. Das Familienleben orientiert sich scheinbar an dem unzuverlässigen Elternteil, das Drama, die Eskapaden, die Zusammenbrüche, alles bewegt sich um diesen Elternteil herum. Während die Narzisstin in ihrer Rolle der aufopfernden Heldin glänzen kann.
Guter Cop, böser Cop. Bösewicht und Held. Die Rollen sind hier scheinbar offensichtlich verteilt. Doch ist diese Narzisstin in ihrem Grad der Manipulation sehr hoch und gefährlich anzusiedeln. Sie ist eine sehr gute Schauspielerin, die ihr direktes Umfeld durch jahrelange Täuschung und Beeinflussung dazu „trainiert“ hat, Teil ihrer Inszenierung zu sein. Dabei wird im Vergleich zur Drama Queen die Opferrolle nicht laut und theatralisch dargestellt, sondern auf einer subtilen Ebene, die ein „aktives Wegschauen“ erfordert.
Probleme, Krankheiten und Konflikte dürfen nicht gelöst werden, können jedoch auch nicht aktiv provoziert werden. Schließlich muss die passive Energie eines „typischen“ Opfers beibehalten werden. Diese Narzisstin sieht deshalb die Probleme um sich und in ihrem Umfeld, wird aber aktiv nichts unternehmen, um diese zu verhindern. Sie wird mit sehenden Augen abwarten bis sich die Eskalation nicht mehr vermeiden lässt. Gleichzeitig kann sie sich von jeder Schuld freisprechen, denn sie hat nun mal aktiv nichts für die Eskalation getan, aber nun mal auch nichts dagegen.
Ebenso wie die Drama Queen braucht sie den Ärger, das Drama, möchte aber nicht im Mittelpunkt dessen stehen, sondern kann sich vielmehr im Hintergrund in ihrer Rolle halten und bekommt trotzdem die Anteilnahme und Aufmerksamkeit, die sie benötigt.
Das direkte Umfeld der Narzisstin soll ihr ihre Unentbehrlichkeit und Aufopferungsbereitschaft spiegeln, indem jeder der Familienmitglieder in seiner Hilflosigkeit gehalten wird.

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