Die Bedürfnisse und Wünsche anderer Menschen schlichtweg zu ignorieren, gehört neben vielen anderen zu den gängigsten Methoden narzisstischen Missbrauchs. Der narzisstische Elternteil „übersieht“ nicht nur die Grenzen oder Emotionen anderer, sie spielen einfach keine Rolle in der narzisstischen Welt. Der Narzisst kann immer nur seine eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und folgt seiner eigenen Triebhaftigkeit diese zu jeder Zeit zu stillen – auch auf Kosten anderer.
Die Außenwelt oder die Familie dienen dem Zweck dem narzisstischen Elternteil seine Selbstüberhöhung zu spiegeln – ohne Kritik, ohne Fragen. Erfüllen die Familienmitglieder diese Spiegelung, indem sie dem narzisstischen Vater so schalten und walten lassen wie er möchte, so ist er innerlich zufrieden. Denn er bekommt das perfekte Bild einer harmonischen Familie gezeigt und kann sich selbst als ebenso „perfekt“ als Vater wahrnehmen.
Wird dieses Bedürfnis jedoch nicht erfüllt, so gerät der Narzisst innerlich ins Wanken, denn Außenwelt und Innenwelt sind aus narzisstischer Sicht nun mal nicht voneinander zu trennen.
Für einen narzisstischen Vater ist die Weigerung ihm das zu spiegeln, was er möchte und braucht, einem Ungehorsam gleichzusetzen, der bestraft werden muss. Und ähnlich wie die narzisstische Mutter bestraft auch der narzisstische Vater gerne und oft. Doch Bestrafung muss im narzisstischen Kontext konkret definiert werden: Denn eine Bestrafung durch einen narzisstischen Elternteil ist niemals gerechtfertigt.
Kinder, die von ihrem narzisstischen Elternteil bestraft werden, haben absolut keine Handlung begangen, die die Reaktion des Narzissten rechtfertigt. Es existiert keine Ursprungshandlung oder Provokation seitens des Kindes. Der Narzisst entscheidet rein willkürlich und aus der Laune heraus. Oft wird ein Kind (Das schwarze Schaf oder das „ungeliebte Kind“) häufiger Opfer willkürlicher Strafen wie das „Lieblingskind“.
Eine „beliebte“ Methode des narzisstischen Missbrauchs ist Silent Treatment. Ein Beispiel aus meiner eigenen Kindheit: Ich bin einmal in unserem Haus den Flur entlanggerannt und durch den Windstoß ist eines der Bilder, die an der Wand hingen, heruntergefallen. Es war nicht vollständig kaputt, aber am Rahmen war nun mal eine Delle vom Aufprall zu sehen. Mein Vater hat tagelang nicht mehr mit mir gesprochen. Das Verhalten meines Vaters führte dazu, dass ich mich natürlich schlecht fühlte, ich empfand Schuld- und Schamgefühle, obwohl ich nichts böses mit Absicht getan hatte. Aber dadurch, dass ICH ignoriert wurde, wurde mir auch jede Möglichkeit der Konfliktlösung genommen – weder galt eine Entschuldigung meinerseits oder eine Erklärung seitens des Erwachsenen. Hier muss verstanden werden: Silent Treatment hat nichts mit Erziehung oder Konfliktlösung zu tun. Es ist eine Bestrafung, über deren Einsatz und Dauer der Erwachsene bestimmt, um seine Machtposition zu stärken.
Eine Ablehnung durch das Kind – egal in welcher Form – ist für den narzisstischen Elternteil immer gleichzusetzen mit einer Ablehnung seiner Selbst. Nicht nur zeigt damit das Kind seinen eigenen Willen, sondern der narzisstische Elternteil kommt hier wieder an die Grenzen seiner überhöhten und wahnhaften Selbstdarstellung.
ALLES kann für den Narzissten eine persönliche Kränkung sein – insbesondere ein Nein der eigenen Kinder. Sei dieses Nein noch so unbedeutend, klein, oder eben absolut selbstverständlich und nachvollziehbar: Es ist für den Narzissten ein persönlicher Angriff. Und auf Ablehnung kennt der Narzisst eben nur eine Antwort: Strafe.
Strafe durch einen verdeckten Narzissten kann jedoch nur in einem passiv-aggressiven Spektrum erfolgen, weshalb „Ignorieren“ oder Silent-Treatment ganz oben auf der Liste des narzisstischen Missbrauchs steht. Ein narzisstischer Vater beispielsweise hat das innere Bedürfnis seinem Kind seine eigenen Komplexe zu spiegeln: „Du bist es nicht wert“, „Du bist es mir nicht wert, dass ich Zeit mit dir verbringe“ oder „Du bist es mir nicht wert, dass ich mich um dich kümmere.“
Es ist ein Spiegel der Wertlosigkeit, der dem Kind vorgehalten wird und sich auf der Handlungsebene in Ignoranz und Vernachlässigung äußert. Die emotionalen Bedürfnisse des Kindes existieren nicht für den narzisstischen Vater. Das Ergebnis ist eine seelische und emotionale Vernachlässigung. Jedoch ist „aktiv nichts zu tun“ schwer von außen nachzuvollziehen oder zu beurteilen. Denn für das Unterlassen von liebevoller Zuneigung wird in einem toxischen Familiensystem niemand zur Verantwortung gezogen.
Da die restlichen Familienmitglieder diejenigen sind, die ihre aktiven Rollen innerhalb der Familie zu spielen haben, springen sie dort ein, wo der Narzisst Lücken hinterlässt. Was bleibt ist dann wieder nur der Versuch das Kranke „normal“ aussehen zu lassen, um das Familiensystem zu schützen.
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