Eine Emotion, die im toxischen Familiensystem stets präsent ist, ist die unterdrückte Wut. Aus meiner eigenen Geschichte kann ich nur sagen: Soweit ich zurückdenken kann, erinnere ich mich an einen wütenden Vater. An einen Vater, der immer unzufrieden war. An einen Vater, der immer gemeckert hat. An einen Vater, der an allem etwas auszusetzen hatte. An einen Vater, der es stets geschafft hat, jegliche Situation schlimmer zu machen als sie eigentlich war.

Insbesondere die letzte Aussage hat das Familienleben immer geprägt: Er war nie eine Hilfe oder Stütze. Egal um welche Situation es sich handelte – er machte es immer schlimmer. Wäre es seine Aufgabe als Vater gewesen ein anderes Familienmitglied zu trösten – hat er nicht gemacht. Wäre es seine Aufgabe als Vater gewesen sich für ein anderes Familienmitglied zu freuen – hat er nicht gemacht. Wäre es seine Aufgabe als Vater gewesen Hilfe anzubieten, egal in welcher Form – hat er nicht gemacht.

Stattdessen hat er es geschafft, dass sich Situationen, die primär andere Familienmitglieder betreffen, schlussendlich nur um ihn drehen. Er richtete absichtlich Chaos und Verdruss an und provozierte stets Unruhe und ließ seine Aggressionen an den anderen Familienmitgliedern aus.

Der narzisstische Vater ist oft emotional überfordert mit Situationen, die eine tiefgehende emotionale Reife voraussetzen. Er kann aus dieser Überforderung heraus nicht eloquent reagieren und sich auf die restlichen Familienmitglieder verständnisvoll einlassen, weshalb er diese Unfähigkeit versucht mit Aggression zu überdecken.

Raum seine Aggressionen abzuladen, findet er dabei immer: Bei der Familie. Narzissten sind nicht in der Lage, die eigenen Emotionen anzunehmen und zu integrieren. Dort wo eigentlich Trost, Anteilnahme oder Verständnis existieren sollte, ist beim narzisstischen Vater nur Platz für eine Emotion: Wut.

Narzisstische Eltern werden dabei sehr oft von ihrer Wut geleitet: Das ewig unverstandene Innere Kind, dass sich und seine Bedürfnisse nie erfüllt gesehen hat, übernimmt hier die Oberhand und agiert dann in Situationen, die für Erwachsene völlig eindeutig sind. Als Erwachsener weiß man schließlich, wann es besser ist, sich zurückzuhalten und nur im Hintergrund zu stehen und wann nicht. Narzisstische Persönlichkeiten wissen das nicht.

Die Angst davor ungesehen zu bleiben, ist so groß, dass sie selbst vor dem Tod anderer keinen Halt macht. Dann kommen beim Narzissten Wut, Aggression, Eifersucht und Neid zum Vorschein und äußert sich in destruktivem und unlogischem Verhalten. So ist die narzisstische Mutter beispielsweise neidisch auf den verstorbenen Vater und die Anteilnahme der Kinder, die ihm und nicht ihr gebührt. Oder auf Beerdigungen spielen sich plötzlich Dramen ab, deren Ursprung beim narzisstischen Vater und dessen Wunsch nach Aufmerksamkeit liegen.

Doch für den Narzissten ist sein Verhalten keineswegs unlogisch: Kann er seine Wut und seine Aggressionen an anderer Stelle rauslassen, so geht es ihm kurzzeitig besser. Das dies in einem unangemessenen Rahmen, völlig unabhängig von der realen, tatsächlichen Situation geschieht, ist dem narzisstischen Elternteil wiederum völlig egal – so lange es ihm nicht schadet. Und das wird es nicht, deshalb findet es innerhalb des toxischen Familiensystems statt: Hier drohen niemals Konsequenzen.

So werden narzisstische Eltern an emotionalen Feiertagen wie Weihnachten ihren Selbstmord androhen oder gar vorspielen, weil das Verhalten der anderen Familienmitglieder ihren Bedürfnissen nicht gerecht wird. So müssen diese schließlich in die „richtige Spur“ gebracht werden.

Ungeachtet der Tatsache, dass dies völlig unangemessen und geradezu himmelsschreiend falsch ist – Für den Narzissten rechtfertigt jedes Mittel seinen Zweck: Alle sollen sehen, wie sehr der Narzisst leidet. Der Schock, das Trauma, die Hilflosigkeit, die solch ein verantwortungsloses Verhalten bei den eigenen Kindern anrichtet, spielt für narzisstische Eltern absolut keine Rolle. Ihr Selbstmitleid, ihre Wut ist verraucht, denn durch ihr Verhalten haben sie die Aufmerksamkeit bekommen, die sie haben wollten.

Grundsätzlich ist das Aggressionspotential bei einem männlichen Narzissten höher anzusiedeln wie bei einer Narzisstin. Männer tragen ihre Aggressionen und ihre Wut mehr nach außen als Frauen. Hier nimmt die rasende und eifersüchtige Wut andere Formen an und äußert sich eher auf einer subtileren Ebene und einem extremen Manipulationsgrad und Täuschungen.

Bei Vätern zeigt sich die eigene Wut eher in körperlicherer und verbaler Form. Natürlich wenden auch narzisstische Frauen körperliche Gewalt als Bestrafung an, doch findet bei narzisstischen Vätern ein offensichtlicherer Umgang mit Aggressionen statt z.B. in Form von lautstarken Auseinandersetzungen oder gar körperlicher „Züchtigung“. Wobei auch hier natürlich jegliche Aktion verharmlost wird mit „so schlimm ist das nicht“ oder als angemessene Konsequenz für das scheinbare Fehlverhalten des Kindes „wenn das Kind nicht hört, muss ich das doch tun“ oder gar die Verantwortung an das Kind weiterreichen „Das hat er/sie verdient“. Auch narzisstische Väter haben grundsätzlich keinen Respekt vor ihren Kindern und werden immer wieder ihre körperliche Überlegenheit demonstrieren wollen.

Wütender Mann

Die toxische männliche Dominanz wird insbesondere bei Söhnen zum Vorschein kommen mit grobem und übergriffigem Verhalten und gleichzeitiger verbaler Herabsetzung. Sprüche wie „Indianer kennen keinen Schmerz“, „Stell dich nicht so an“ oder „Heul doch nicht wie ein Mädchen“ sind nicht nur altbacken, sondern vielmehr ein Zeichen toxischer Maskulinität. Das Kind lernt hierbei nur eines: Keinen angemessenen Umgang mit den eigenen Emotionen. Es kann keine Regulation von Emotionen stattfinden, sondern nur eine erlernte Unterdrückung der emotionalen Bedürfnisse. Die Quintessenz lautet: „Wenn ich Emotionen zeige (oder weine), bin ich schwach.“

Ein Glaubenssatz, der noch in vielen Köpfen erwachsener Männer rum spukt und die Fähigkeit zur Regulation schwieriger Emotionen hemmt. Das Ergebnis der ständigen Unterdrückung ist das Anstauen ebenjener Emotionen, was sich wiederrum in aggressivem Verhalten äußert. Wütende Väter erziehen wütende Söhne. Ein Teufelskreis.


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