Eigenschaften des toxischen Familiensystems

In einem toxischen Familiensystem besteht stets eine große Diskrepanz zwischen dem Gesagten und dem, was getan wird. Worte und Taten könnten bei Narzissten nicht weiter auseinanderliegen. Narzisstische Eltern beeinflussen und manipulieren ihr Gegenüber mit sorgfältig gewählten Worten. Das Verhalten hingegen spricht immer eine eigene Sprache und zeigt die wahre Natur des Narzissten. Narzisstische Eltern leben eine Doppelmoral, über deren Regeln sie willkürlich und frei bestimmen dürfen.

Das narzisstische Verhalten ist stets egoistisch und folgt nur den eigenen Bedürfnissen. Narzisstische Eltern sind durchaus in der Lage, sich (und die Familie), insbesondere wenn Außenstehende anwesend sind, mit schönen und liebevollen Worten zu schmücken. Ihre Qualitäten als Eltern und ihre Aufopferung für die eigene Familie suchen dementsprechend wahrlich ihresgleichen. Auch wird sich gerne mit fremden Federn geschmückt, wenn zum Beispiel eines der Kinder eine besonders gute Leistung erbringt.

Sieht man jedoch auf das Verhalten des Narzissten, so zeichnet sich ein gänzlich anderes Bild ab. Hier wird immer nur ein absolutes Minimum an „Aufopferung“ geleistet, für das jedoch unverhältnismäßig viel Wertschätzung eingefordert wird.

Wie beispielsweise die narzisstische Mutter, die vor Dritten entweder mit ihrer Mutterrolle prallt oder sich als Opfer mangelnder Unterstützung seitens ihrer Kinder darstellt. In der Realität jedoch ist sie weder ein Opfer, noch arbeitet sie aktiv an ihrer Rolle als Mutter: Sporadisch lädt sie ihre erwachsenen Kinder zum Essen ein – nicht mehr und nicht weniger. Doch das reicht für den Narzissten um ewige Dankbarkeit seitens der Familie zu fordern.

Auch der narzisstische Vater wird nach eigenen Angaben stets „alles für die Familie getan haben“, doch die Realität zeigt ein anderes Bild. Jegliche noch so lange und kurze Episode der „Aufopferung“ muss mit unendlicher Dankbarkeit aller Familienmitglieder gewürdigt werden.

„Aufopferung“ kann dabei alles bedeuten: Ich bin arbeiten gegangen, Ich bin nicht arbeiten gegangen, Ich habe Essen gekocht (wenn ich Lust dazu hatte), Ich habe sauber gemacht (wenn ich Lust dazu hatte), Ich bin einkaufen gegangen (wenn ich Lust dazu hatte), Ich habe dir ein Geschenk gekauft (wenn ich Lust dazu hatte). Diese Liste ist je nach Fantasie des narzisstischen Elternteils unendlich fortsetzbar.

Was auf dieser Liste steht, sind jedoch primär Selbstverständlichkeiten, die Eltern für ihre Kinder tun. Doch für den narzisstischen Elternteil ist nichts selbstverständlich.

Und noch etwas wird auf der Liste eines Narzissten niemals stehen: „Ich liebe dich so wie du bist. Alles was ich für dich tue, mache ich gerne und weil ich dich liebe.“

Diese Worte kann der narzisstische Elternteil nicht empfinden und dementsprechend kann er sie noch weniger leben. Auf einer Handlungsebene ist der Narzisst durchaus in der Lage dies und jenes tun, um andere davon zu überzeugen, dass er eine gute Mutter/ein guter Vater ist. Auf der emotionalen Ebene findet jedoch keine Ehrlichkeit, keine Warmherzigkeit, keine Zuneigung statt.

Es ist stets nur ein Schauspiel, eine Darstellung einer Mutter, eines Vaters. Aber der Narzisst hat keine emotionale Tiefe und kann diese deshalb auch nicht spielen.

Er kann sich nur so verhalten wie er denkt, dass das so gemacht werden muss, doch er kann es nicht fühlen. Er kann es nicht fühlen, wenn seine Kinder traurig, wütend oder freudig sind. Es interessiert ihn deshalb schlichtweg auch nicht. Er möchte immer nur sein eigenes überhöhtes Selbstbild gespiegelt bekommen – dazu ist seine Familie schließlich da.

Diese Diskrepanz von Worten und Taten zeigt sich innerhalb des Familiensystems jedoch auch in vereinfachten Formen. So wird der narzisstische Elternteil gerne sehen, dass sein Kind den gesellschaftlichen Normen entspricht. Denn schließlich ist dem Narzissten seine Fassade das Wichtigste. So soll das Kind klug, hilfsbereit und empathisch sein und wird dazu auch (in der Öffentlichkeit) aufgefordert – schließlich MUSS das Kind in das „perfekte“ Bild der heilen Familie passen. Doch der Narzisst lebt selbst keine Eigenschaften vor, die er gerne von seinem Umfeld einfordert.

Kinder wissen um die Doppelmoral ihrer Eltern und können nur das in ihrem eigenen Verhalten zeigen, was sie von den Eltern vorgelebt bekommen. Kommuniziert ein Elternteil nicht aggressionsfrei mit seinem Kind, wie soll das Kind dann angemessen kommunizieren lernen? Verhält sich ein Elternteil respektlos und desinteressiert dem Kind gegenüber, was soll das Kind daraus für sich lernen und in seinem eigenen Verhalten spiegeln? Spricht ein Elternteil in der Öffentlichkeit mit Engelszungen, aber lässt hinter zugezogenen Gardinen Hasstiraden los – was soll ein Kind hier lernen außer Unsicherheiten und falsche Wertvorstellungen?

Eltern glauben ihre Worte hätten die Kraft ihre Kinder zu erziehen, doch es ist das Verhalten der Eltern, an dem sich Kinder orientieren. Nur wertschätzende Worte UND wertschätzende Handlungen dem Kind gegenüber haben einen positiven Effekt auf die emotionale und soziale Entwicklung des Kindes.

Im Rahmen des toxischen Familiensystems existieren weder Respekt noch Ehrlichkeit, weshalb diese Attribute auch niemals (vor-) gelebt werden können. Was bleibt ist ein Schauspiel der perfekten Familie für ein ahnungsloses Publikum, während hinter den Kulissen Lügen und Missbrauch stattfinden.


2 Antworten zu „Doppelmoral in Worten und Taten“

  1. Avatar von Mary
    Mary

    Kann sich denn der Narzissmus mit dem Älterwerden der Eltern verändern bzw. schwächer werden und welche Auswirkungen kann das ggf. auf das dysfunktionale Familiensystem haben? Und wie sieht es mit narzisstischen Geschwistern (z.B. ältere Schwester) aus bzw. geht die Psychologie überhaupt davon aus, dass es eine Art „übertragenen“ Narzissmus von den Eltern auf die Kinder kann oder, dass dieser in der Kindergeneration gewissermaßen „neu aufgelegt“ werden kann? Hieran anschließend noch die Frage nach den über-generationellen Aspekten des Themas, dass es also einen Narzissmus von der Ur-/Großelterngeneration über die Eltern- zur Kindergeneration eventuell geben kann. Zu diesen Punkten fände ich Deine Einschätzung oder vielleicht sogar extra Blogbeiträge Deinerseits interessant. Danke, Mary.

    1. Avatar von Vanessa Wolfarth

      Liebe Mary, danke für deinen Kommentar – da es hier zu viel zu schreiben wäre, habe ich dir eine Email geschickt. Liebe Grüße!

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