Eigenschaften des dysfunktionalen Familiensystems

Die jeweiligen Familienmitglieder reagieren entsprechend ihrer Rolle innerhalb des toxischen Systems. Das bedeutet, derjenige, der aktiv seine dysfunktionale Energie auslebt, wie die narzisstische Mutter oder der narzisstische Vater, zeigen gegenüber den anderen Familienmitgliedern wenig bis gar keine Unterstützung.

Wenn Unterstützung in Form von emotionaler Anteilnahme, Interesse oder materieller und praktischer Hilfe gezeigt wird, geht dem entweder ein eigener Vorteil voraus oder sie zielt auf die Ungleichbehandlung der Familienmitglieder ab: So bekommt das Lieblingskind durchaus einzelne emotionale Brotkrümel hingeworfen, ähnlich wie ein Lob für eine besondere (oder keine) Leistung, während das ungeliebte Kind in der gleichen Situation bewusst außen vor gelassen wird. Ganz nach dem Motto: Keine Kritik ist auch ein Lob. Manchmal. Und das muss reichen.

Wenn der Narzisst dann mal eine Form der Unterstützung leistet, dient dies eher der Herabsetzung des Gegenübers, und gleichzeitig wird dafür unverhältnismäßig viel Dankbarkeit und Wertschätzung erwartet. Der narzisstische Elternteil wird diesbezüglich auch nie müde, seine persönliche Liste der Unterstützung und Aufopferung fortzusetzen und auch über Jahre noch Vorhalte zu machen, was er alles geleistet haben soll.

Die anderen Familienmitglieder, die sich durch eine passive Präsenz charakterisieren lassen, müssen der eingebildeten Unterstützung durch den Narzissten eine tatsächliche Aufopferung leisten, um die „Balance“ im Familiensystem zu halten.

Wenn sich zum Beispiel der narzisstische Vater dazu entschließt, ohne Erklärung über Jahre nichts mehr zum Familieneinkommen beizutragen, muss der andere Elternteil in Vollleistung treten, um den Alltag bewältigen zu können und vor dem finanziellen Abstieg zu schützen. Oder die narzisstische Mutter, die das verdiente Geld grundsätzlich mit vollen Händen für sich ausgibt und sich weder um die aktuellen noch die zukünftigen finanziellen Bedürfnisse der Familie kümmert. Auch hier muss der andere Elternteil die komplette Verantwortung übernehmen, um das Familiensystem am Leben zu halten und vor dem finanziellen Ruin zu bewahren. Hier zeigt sich auch das Hauptkennzeichen des toxischen Familiensystems: Derjenige, der immer unterstützt wird, ist immer der Narzisst – der Auslöser der Krise. Wer auf der Strecke bleibt, sind die Kinder.

Es ist nämlich schlichtweg nicht möglich, den toxischen Elternteil in seinem destruktiven Verhalten voll zu unterstützen UND gleichzeitig die restlichen Familienmitglieder, die Kinder, ebenfalls mit der gleichen Intensität zu unterstützen.

Was hier geschieht, ist eine einfache Verschiebung der Verantwortlichkeiten.

Der Narzisst hat keine Lust auf Verantwortlichkeiten, die der Familie gelten, und lässt es einfach bleiben. Die Lücke, ob nun emotional oder finanziell, muss jedoch gefüllt werden, wenn das Familiensystem nicht scheitern soll. Deshalb müssen die anderen Familienmitglieder einspringen.

Doch nicht nur der passive Elternteil ist dadurch betroffen, auch die Kinder lernen früh, viel zu viel Verantwortung zu übernehmen. Solche Verantwortlichkeiten sind jedoch keineswegs für schmale Kinderschultern gemacht, weshalb sich später als Erwachsene klare Defizite zeigen. Doch auch wenn alle Kinder erwachsen sind, ändert sich nichts am mangelnden Verantwortungsbewusstsein des narzisstischen Elternteils. Verstirbt nun der Elternteil, der sich bisher um alle finanziellen Angelegenheiten innerhalb der Familie gekümmert hat, füllt keineswegs der Narzisst die nun entstandene Lücke, sondern die Kinder müssen nun klag- und fraglos einspringen.

Eine narzisstische Mutter und ein narzisstischer Vater müssen niemals etwas erklären oder sich rechtfertigen. Wenn sie etwas nicht machen wollen, weil es ihnen selbst in dem Moment keine Vorteile oder Freude bringt, lassen sie es einfach. Dafür hat sich der Narzisst eben seine Familie „geschaffen“: Es wird immer jemand anderes geben, der die Verantwortung für sie übernimmt.

In einem toxischen Familiensystem übernehmen die einzelnen Mitglieder entweder zu viel oder zu wenig bis gar keine Verantwortung. Die Folge ist eine totale Dysbalance, die dazu führt, dass die familiären Verantwortlichkeiten in ihrer gesamten Wucht auf eine oder zwei Personen abgewälzt werden. Gleichzeitig fällt es allen Mitgliedern schwer, Eigenverantwortung zu übernehmen.

Eigenverantwortung bedeutet, dass jeder dazu verpflichtet ist, für die Folgen seines Handelns einzustehen und sowohl die Konsequenzen als auch eventuelle Sanktionen anzunehmen und zu tragen. Selbstverantwortlich zu agieren bedeutet jedoch NICHT, keine Fehler einzugestehen, diese zu überspielen oder so zu tun, als wäre das nie passiert – aber genau dies tut der narzisstische Elternteil alltäglich. Eigenverantwortung ist dementsprechend etwas, das in einem toxischen Familiensystem nicht durch eine Vorbildfunktion weitergegeben wird. Denn auch der andere Elternteil übernimmt nur Verantwortlichkeiten, die nicht seine sind, und lässt damit keinen Raum für seine eigentlichen Pflichten.

Der Fokus liegt voll auf dem Narzissten, an dem sich das gesamte Handeln ausrichtet. Was an die Kinder weitergegeben wird, ist eine ständig überfordernde und gleichzeitig passive Dynamik als Teil sozialer Beziehungen: Ein Part macht alles und der andere nichts. Und es funktioniert.

Photo by Ron Lach on Pexels.com

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