Eigenschaften des dysfunktionalen Familiensystems
Ein wichtiger Faktor des toxischen Familiensystems ist die Grenzenlosigkeit des narzisstischen Elternteils. Der Narzisst respektiert grundsätzlich keine Grenzen – von niemandem.
Keines seiner Kinder hat ein Recht auf Privatsphäre. Keines seiner Kinder hat ein Recht auf Eigentum. Keines seiner Kinder hat ein Recht auf die Freiheit, sich auszuleben.
Der Narzisst hat seine Kinder bekommen, um zu bestimmen und zu entscheiden, welche Bedürfnisse sie überhaupt erst haben dürfen, und diese sollen sich im besten Fall mit seinen eigenen decken. Grundsätzlich ist das Kind, das sich den Wünschen des Narzissten fügt und seine emotionalen Bedürfnisse stillt, das „Lieblingskind“ oder das „geliebte Kind“. Doch eben auch dieses Kind, das augenscheinlich nichts falsch machen kann, wird in Wahrheit in seiner Persönlichkeit vehement unterdrückt und an dessen Auslebung gehindert. Alle Kinder des Narzissten werden in ihren Rechten beschnitten und eingeschränkt. Kinder dienen in einem toxischen Familiensystem einem Zweck – und über diesen Zweck entscheidet einzig und allein der narzisstische Elternteil.
Der Narzisst maßt sich in seiner verzerrten Selbstüberhöhung an, seine Kinder „erschaffen“ zu haben und deshalb besitzt er jedes Recht, sie so zu behandeln, wie es ihm beliebt.
Insbesondere narzisstische Mütter sind in diesem Selbstwahn völlig maßlos: Sie bilden sich ein, dass ihre Kinder ihr zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet sind, allein aufgrund der Tatsache, dass sie sie geboren hat. Für eine „normale“ Mutter eine völlig absurde Vorstellung, doch für eine narzisstische Mutter eine absolut gerechtfertigte Idee. Schließlich hat sie im Zweifelsfall gelitten bei der Geburt – dieses Leid, das sie erfahren hat, muss in ihrer Welt zurückgezahlt werden. Noch schlimmer ergeht es Kindern narzisstischer Mütter, die eventuelle (oder ausgedachte) körperliche Beschwerden nach der Geburt hatten: Sie müssen sich ihr Leben lang anhören, wie sehr sie ihrer Mutter geschadet haben, weil sie geboren wurden. Solche Vorwürfe sind keineswegs harmlos gemeint oder zu verstehen. Der emotionale Druck und der Schaden, den solche Vorwürfe in der Seele eines Kindes anrichten, sind enorm und unentschuldbar.
Narzisstische Eltern kennen wahrlich keine Grenzen, wenn es um die Schikane ihrer Kinder geht. Ihre Kinder sind ihr Eigentum und so verhalten sich narzisstische Eltern ihnen gegenüber. Sie akzeptieren keine körperlichen, räumlichen, emotionalen, moralischen oder gar sexuellen Grenzen. Die eigene Familie ist für Narzissten ein rechtsfreier Raum. Innerhalb dieser für sie sicheren Welt können sie sich völlig frei von Konsequenzen bewegen. Der narzisstische Elternteil muss sich innerhalb seiner Familie nicht erklären oder rechtfertigen. Selbst Ausreden oder halbseidene Entschuldigungen verlieren nach wenigen Tagen oder Wochen ihre Bedeutung – und die schädlichen Handlungen werden fortgesetzt.
Die Grenzenlosigkeit narzisstischer Eltern kann sich auf konkrete Handlungen beziehen, wie das ständige Eindringen in die Privatsphäre der eigenen Kinder, zum Beispiel durch heimliches Betreten der Zimmer der Kinder oder das Entfernen, Verkaufen oder Wegwerfen der Habseligkeiten der Kinder. Aber es gibt auch ein Thema, das viele Familien mit narzisstischen Eltern betrifft und über das oft geschwiegen wird:
Denn oft haben narzisstische Persönlichkeiten ein besonderes Thema, das sie ihr Leben lang begleitet: Geld.
Geld und der damit verbundene sozioökonomische Status sind Dinge, die narzisstische Persönlichkeiten ihr ganzes Leben lang anstreben. Nicht nur lassen sich durch Geld Status, Prestige und Macht demonstrieren – also eine einfache Gelegenheit, das Narrativ ihres Publikums zu kontrollieren. Auch dient Geld der schnellen Bedürfnisbefriedigung für eine narzisstische Persönlichkeit. Geduld, Ausdauer und längerfristige Zielsetzungen gehören für Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung nicht immer zum Repertoire ihrer Fähigkeiten.
Geld zu wollen ist dabei eine Sache, aber Geld zu bekommen eine andere. Wer dann auch noch die Ansicht vertritt, dass ihm alles zusteht und dabei moralisch flexibel ist, dem stehen eben andere Möglichkeiten des „Geldverdienens“ offen. Ein Narzisst orientiert sich in seinem moralischen Wertesystem keinesfalls an gesellschaftlichen Normen und Regeln, sondern folgt stets nur seiner Gier.
Hier stehen die Türen für Diebstahl, Betrug, Fälschung und Erpressung weit offener als bei anderen Menschen. Wer das nicht hauptberuflich, sondern wie ein verdeckter Narzisst hinter verschlossenen Türen anwendet, hat ein leichtes Ziel vor Augen: die eigene Familie.
Wer von Neid und Missgunst getrieben ist, hat kein Problem damit, seinen Kindern mal hier und da Bargeld zu entnehmen, Unterschriften zu fälschen, zu betrügen, Schulden unter falschem Namen anzuhäufen, zu erpressen oder das Erbe streitig zu machen – und das alles unter der Prämisse: „Das steht mir zu!“
Gleichzeitig sind sie selbst schnell dabei, andere Familienmitglieder des Diebstahls zu bezichtigen. Auch nur logisch: Wer sich selbst für unfehlbar hält, kann nicht verantwortlich gemacht werden, wenn ihm Geld abhandenkommt – Schuld sind immer die anderen.
Diebstahl ist eine verwerfliche Angelegenheit, insbesondere die eigenen Kinder zu bestehlen. Nicht so in einem toxischen Familiensystem. Skrupellosigkeit und stets an der Grenze zum Illegalen oder darüber hinaus – alles ist hier möglich für den Narzissten.
Da sich Narzissten in ihren Moralvorstellungen nicht an gesellschaftlichen Normen orientieren, sondern nur ihren eigenen „Werten“ folgen, ist der moralische Spielraum, den der Narzisst innerhalb der Familie hat, sein eigener. Grenzen setzt nur der Narzisst selbst. Die anderen Familienmitglieder hingegen haben schlichtweg keine. Dass der narzisstische Elternteil sich dabei keineswegs in einer rechtsfreien Zone bewegt, sondern mitunter auch Straftaten begeht, spielt keine Rolle.
Denn die restlichen Familienmitglieder sind innerhalb des Missbrauchs dazu „erzogen“, alles, was vom Narzissten ausgeht, schlichtweg hinzunehmen und zu akzeptieren. Deshalb können selbst erwachsene Kinder, die tagtäglich Erpressung, Nötigung, Beleidigungen oder Diebstahl erfahren, keine Anzeige erstatten oder tun sich schwer, sich an die Außenwelt zu wenden. Zu groß sind Angst, Scham und der emotionale Druck, was „danach“ passieren könnte. Denn jedweder Widerstand gegen den narzisstischen Elternteil wurde bestraft. Schlussendlich ist man mit diesen Taten aufgewachsen, seien sie noch so verwerflich, illegal oder strafrechtlich relevant: Sie gehören für Kinder in einem toxischen Familiensystem zur Normalität.

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