Wenn in einer toxischen Familie ein Familienmitglied stirbt, wird diese Erfahrung weder empathisch noch „gesund“ in das Leben integriert:
Es sind keine Fotos des Verstorbenen im Haus zu finden.
Niemand wird am Geburtstag oder am Todestag an das Familienmitglied erinnern.
Niemand wird bei Familienveranstaltungen über den Verstorbenen sprechen oder ihm gedenken.
Niemand wird den Tod aufarbeiten wollen.
Niemand wird den Verstorbenen ehren.
Der Verstorbene wird totgeschwiegen.
Es ist ein merkwürdiges Phänomen, das jedoch Sinn ergibt, wenn man die Eigenschaften und Strukturen toxischer Familien mit narzisstischen Mitgliedern näher betrachtet.
Während in gesunden Familien (und in anderen Kulturen) der Tod als Teil des Lebens verstanden wird und verstorbene Familienmitglieder auch nach ihrem Ableben noch Teil der Familie bleiben, geschieht in toxischen Familien mit narzisstischen Eltern das Gegenteil.
Über den Verstorbenen wird nie wieder gesprochen. Zwar wird kurz nach dem Ableben und in den ersten Momenten von Trauer und Schock noch emotionale Anteilnahme gezeigt, doch das hört dann abrupt auf.
Woran liegt das?
Das liegt daran, dass narzisstische Eltern ihre Bühne nicht teilen.
Auch nicht mit Toten.
Dem Verstorbenen wird kurz nach seinem Ableben genug Aufmerksamkeit geschenkt – irgendwann ist es dann aber auch genug. Nach der ersten Phase von Trost und Traurigkeit ist das Thema für den narzisstischen Elternteil „abgehakt“. Das Leben geht weiter. Oder besser gesagt: Die Inszenierung geht weiter.
Man könnte einwenden, dass der Schmerz über den Verlust zu groß ist, um darüber zu sprechen. Doch wer in einer toxischen Familie aufgewachsen ist, in der ein Familienmitglied verstorben ist, weiß, dass das Leid der narzisstischen Familienmitglieder variabel genutzt und manipuliert wird.
Besonders wenn der andere Elternteil stirbt und der narzisstische Elternteil „übrig“ bleibt, zeigt sich, wie kalt und empathielos narzisstische Eltern sein können. So wird eine narzisstische Mutter Neid auf den verstorbenen Vater empfinden, weil dieser nun so viel Aufmerksamkeit erhält. Sie wird versuchen, ihn schlechtzumachen und Dinge, die ihm zu Ehren geschehen, bewusst herabwürdigen.
In einer gesunden Familie hingegen würde die Erinnerung an den Verstorbenen hochgehalten werden. Stirbt ein Elternteil, wird der lebende Elternteil dafür sorgen, dass dieser weiterhin Teil des Familienlebens bleibt und nicht vergessen wird. In narzisstischen Familien wird alles getan, damit der Verstorbene vergessen wird. Er erfüllt keinen Zweck mehr, keine Aufgabe – für den narzisstischen Elternteil.
Der Verstorbene spielt wortwörtlich keine Rolle mehr.
Wer auf der Bühne des Narzissten mitspielt, hat eine Aufgabe zu erfüllen. Ein Verstorbener kann das aufgrund seines Todes nicht mehr und ist damit uninteressant für den Narzissten.
Natürlich hinterlässt jeder Tod eine Lücke, die nicht einfach ersetzt werden kann. In gesunden Familien bleibt diese Lücke bestehen, da der Verstorbene weiterhin Teil der Familie ist. Die entstandene Lücke wird mit Erinnerungen gefüllt. Die Gefühle für diesen Menschen bleiben, sodass er weiterhin eine aktive Rolle in der Familie innehat.
Diese aktive Rolle wird von den anderen Familienmitgliedern hergestellt, indem über ihn gesprochen wird und gemeinsam an ihn gedacht wird. Für die Familie wäre es schlimm zu wissen, dass der Verstorbene vergessen werden könnte. Deshalb wird der eigene Schmerz über den Verlust nebensächlich im Vergleich zu der Liebe, die man für die verstorbene Person empfindet. Die Liebe ist stets größer als der Schmerz.
Nicht so in narzisstischen Familien. Natürlich reißt der Tod auch hier eine Lücke in die Familie. Doch diese Lücke muss so schnell wie möglich wieder gefüllt werden. Die Aufgaben, die der Verstorbene sonst erledigt hat, müssen nun von anderen Familienmitgliedern übernommen werden, bevorzugt von den Kindern. Der Verstorbene hatte einen Zweck. Dieser Zweck bleibt bestehen – für den narzisstischen Elternteil. Dieser muss weiterhin seine Bedürfnisse erfüllt bekommen, um in seiner Komfortzone zu bleiben.
Hier geht es nicht darum, dem Verstorbenen Ehre zu erweisen, sondern ihn unverzüglich zu ersetzen.
Die Inszenierung einer Familie muss schließlich weitergehen: The show must go on.

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